Am vergangenen 19. August hat die Bevölkerung unseres Planeten alle für dieses Jahr zur Verfügung stehenden Naturressourcen bereits verbraucht. Und dennoch leben Milliarden Menschen noch immer in Armut. Das Raumschiff Erde braucht eine echte Globalisierung, meint Wolfgang Pekny.
„Der amerikanische Lebensstil ist nicht verhandelbar“, verkündete US-Präsident Bush senior anlässlich der Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992. Mehr als zwanzig Jahre später ist diese Haltung das unausgesprochene Motto aller so genannten entwickelten Länder. Zwar wird, wenn es um nachholende Entwicklung geht, das Recht der Armen auf ein menschenwürdiges Leben nie abgestritten, aber den Lebensstil der Wohlhabenden darf dies freilich keinesfalls in Frage stellen. So kann es nicht verwundern, dass alle internationalen Verhandlungen, die auf ein global faireres Teilen von Wohlstand und Bürden abzielen, de facto zum Stillstand gekommen sind. Wachstum gilt als einzige Lösung.
Am 19. August, einen Tag früher als letztes Jahr, war World Overshoot Day 2014, jenes kritische Datum, an dem alle in diesem Jahr nachhaltig zur Verfügung stehenden Leistungen der Natur aufgebraucht sind. Für den Rest des Jahres lebt die Menschheit nur mehr „auf Pump“, wirtschaftet auf Kosten der zukünftigen Generationen. Dabei ist es nur knapp ein Viertel der Weltbevölkerung, die Global Consumer Class, die drei Viertel aller Ressourcen beansprucht und eben so viel Anteil an allen Emissionen zu verantworten hat. Zugleich leben Milliarden Menschen in bitterer Armut.
Die unterprivilegierten drei Viertel der Menschheit hätten eigentlich alles Recht, ebenfalls mehr Energie und mehr Güter zu verbrauchen. Würden allerdings alle Menschen so leben wollen wie wir in Europa, bräuchte es mindestens drei Planeten von der Qualität der Erde. Haben also alle, die später kommen, das Nachsehen? Kann es unter so absurd ungerechten Ausgangsbedingungen jemals globale Fairness geben?
In internationalen Verhandlungen wäre heute nichts dringender als das Anpeilen eines ökologisch verträglichen und sozial fair verteilten Fußabdrucks (siehe Begriffe Seite 29). Doch statt solidarischem Gemeinsam dreht sich internationale Politik noch immer um die nationalen Interessen der Staaten. Die Frage nach Fairness wird aber am diplomatischen Parkett eher gemieden. Sie gilt als kompliziert, wohl nicht zuletzt, weil viele politische VertreterInnen, auch jene der benachteiligten Länder, selbst zu den Privilegierten gehören.
Kritiker des globalen Ansatzes argumentieren gerne, dass Länder eben von Natur aus sehr verschieden mit Ressourcen ausgestattet sind, es also „reiche“ und „arme“ Länder gibt. Dem ist tatsächlich so, der Rückschluss daraus müsste aber umgekehrt lauten. Genau deshalb müssen wir im globalen und nicht im nationalen Maßstab denken. Viele der ökonomisch reichsten Länder sind ökologisch allein gar nicht überlebensfähig. Selbst das saftig-grüne Österreich kommt mit dem eigenen Land nicht aus. Kleine, wohlhabende Länder wie die Niederlande, Luxemburg oder gar Monaco könnten niemals mit „ihrem“ Anteil an Natur überleben.
Auch viele Schwellenländer sind heute schon im nationalen Overshoot, obwohl die BewohnerInnen dort pro Kopf deutlich weniger konsumieren als in den Industriestaaten. Andere, wie Gabun, gehören zu den Ländern mit der größten Biokapazität pro EinwohnerIn. Seit wenigen Jahren ist auch China im Overshoot, weil Wirtschaft und Konsum und dementsprechend auch der Fußabdruck rasant wachsen. Brasilien dagegen hat bei vergleichbarem Pro-Kopf-Fußabdruck wie China jede Menge ökologischer Reserven; es könnte seinen Konsum aus nationaler Sicht weit über das westliche Niveau steigern. Ist das fair?
Nationale Grenzen, Striche auf der Landkarte, gezogen aus Willkür oder durch Kriege, können niemals die Grundlage globaler Fairness bilden. Die Tragödie der internationalen Politik liegt genau darin, dass der tagespolitisch notwendige Bezug auf das Nationale langfristig überhaupt keinen Sinn ergibt.
Wie kein anderes naturwissenschaftliches Instrument kann der Fußabdruck die ökologischen und sozialen Notwendigkeiten auf einen Nenner bringen. Bei etwa zwölf Milliarden Hektar bioproduktiver Fläche auf der Erde und gut 7,2 Milliarden Menschen ergeben sich im Moment rechnerisch etwa 1,7 globale Hektar (gha), die zur Deckung der materiellen Bedürfnisse pro ErdenbürgerIn zur Verfügung stehen, Tendenz weiter abnehmend. Mit über fünf gha pro Kopf beanspruchen die EuropäerInnen weit mehr als den fairen Anteil, die US-AmerikanerInnen noch mehr.
Genau diese Frage taucht seit mehr als einem Jahrzehnt auch bei den Klimaverhandlungen auf. Sie ist aber falsch gestellt, denn niemand hat das Recht dazu. Wird dieses ethische Prinzip global gedacht, dann endet die Freiheit, einen beliebigen Lebensstil zu wählen, dort, wo die Freiheit Anderer beschnitten wird, ein menschenwürdiges Leben zu führen.
Die zentrale Zukunftsfrage des 21. Jahrhunderts lautet also: „Wie können wir unsere Gesellschaften so organisieren, damit alle Passagiere im Raumschiff Erde ein gutes Leben führen können, mit dem Anteil der Welt, der fairerweise zur Verfügung steht?“
Üppiger Fleischkonsum, häufige Urlaubsflüge, dicke Autos, kurz der durchschnittliche Lebensstil der Global Consumer Class verletzt heute ohne Zweifel die Rechte der globalen Mehrheit. In unserem Leben stehen dringend individuelle Veränderungen an. Nicht konkurrierende Volkswirtschaften, sondern nur eine durchdachte, partizipative Globalwirtschaft wird das ermöglichen. Je rascher diese „wahre Globalisierung“ begonnen wird, umso eher können die Rechte Aller ohne gewaltige Katastrophen garantiert werden.
Noch sind es heute freilich nur schwache Rechte, noch nirgends festgeschrieben und oft nicht einmal in den Köpfen verankert. Doch was noch mehr fehlt als Ressourcen und Energie ist die Phantasie, uns eine andere Welt vorzustellen.
Wolfgang Pekny ist ein Urgestein der Ökologiebewegung und blickt auf 40 Jahre Erfahrung beim Umsetzen von Umweltanliegen zurück, zwei Jahrzehnte davon in führenden Positionen für Greenpeace, national und international. Als Geschäftsführer der von ihm gegründeten Plattform Footprint und als Obmann der Initiative Zivilgesellschaft ist er bis heute im Einsatz für eine Globalisierung der Vernunft.
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